Wenn du am Boden liegst – Wie man mit Frust umgehen kann.

Wenn du am Boden liegst – Wie man mit Frust umgehen kann.

Wie man mit Frust umgehen kann. Inspiration von minimalistmuss.com

„Sagt mal, wie macht ihr das? Ich komme gerade ganz schön an meine Grenzen und ich habe das Gefühl die Balance zwischen Arbeit und Mama sein überhaupt nicht mehr hinzubekommen. Mein Sohn sagte heute „Mama, du musst immer arbeiten, arbeiten, arbeiten“. Da sind dann aber alle Alarmglocken angegangen. Ich erkläre ihm dann, dass es einfach jetzt gerade so ist und auch wieder besser wird, aber es bricht mir doch irgendwie das Herz. Kennt ihr das? Wie geht ihr damit um?“

Das waren die Zeilen die ich kürzlich in einer meiner Lieblingsfacebookgruppen gefunden habe. Das Feedback war großartig. Überragender Zuspruch (obwohl es ja eigentlich traurig ist, dass es vielen so geht) und viele ermutigende Worte waren dabei. Tipps gab es auch nicht wenige. Oft wurde gesagt das ‚besseres Planen‘ hilft solche Momente zu vermeiden oder zu umgehen und ich habe ja selbst letztens hier darüber geschrieben.

  • Auszeiten nehmen.
  • Abschalten.
  • Bewusst an etwas anderes denken.
  • Sich nicht von der Hilflosigkeit übermannen lassen

Ja. JA. JAAAAAAA!!!!

Das ist alles richtig. Das ist alles machbar wenn der Punkt der Überwältigung noch nicht erreicht ist. Wenn man den Kopf noch über Wasser hat und die Welle noch nicht über einem zusammengeschlagen ist. Oder wenn es schon passiert ist und man wasserspuckend gerade wieder die Oberfläche erreicht hat. Dann kann man sich schwören Maßnahmen zu ergreifen die dann beim nächsten Mal (besser) greifen.

Sometimes I wonder

Sometimes I wonder

Aber was kann man tuen wenn man in der Situation steckt? Wenn man seine 10 Bälle auf einmal jonglierend in der Luft hält und dann kommt dieser Stolperstein, der dich dazu bringen wird, das Gleichgewicht zu verlieren. Du siehst ihn, du bist zwar noch nicht drüber gefallen, aber du bist gerade so in der Bewegung drin und du weißt es ist unvermeidlich. Gleich, in einer 10tel Sekunde wirst du das Gleichgewicht verlieren und alles wird fallen. Es ist ein furchtbarer Moment voll grausamer Klarheit und bitterer Hilflosigkeit. Verdammt!

Der Fall.

Der Aufprall.

Der Atem der dir aus den Lungen entweicht.

Der Schauer der über den Rücken läuft.

Der Blick aufs Durcheinander.

Der Gedanke an die Schadensbegrenzung.

Wie geht es jetzt weiter? Aufstehen, aufsammeln, weitermachen???

Klar. Meist muss man, denn sonst wären wir ja gar nicht erst in diese verspannte Lage gekommen. Dann muss man den Kindern erklären das „nur ein kleinen bisschen länger“ so weitergehen muss. Dann ist man „ein guter kleiner Soldat“ sein muss und erzieht seine Kinder indem man das Beispiel vorlebt:

Weitermachen, nicht aufgeben. Das ist wichtig!

Man „reißt sich also zusammen“. Man „stellt sich nicht so an“. Man klopft den Staub ab und macht „erhobenen Hauptes“ weiter.

Aber seien wir doch mal ehrlich. So ziemlich alles an dieser Situation ist scheiße und „sich zusammenreißen“ und „sich nicht anstellen“ und, vor allem, „erhobenen Hauptes“ weiter zu machen ist gar nicht so einfach getan wie es gesagt ist. Und selbst wenn man es schafft sich aufzuraffen, dann sind doch diese Dinge die man zu erledigen hat noch viel schlimmer, schwerer und deprimierender.

Meine Standardreaktion war für Jahre das ich mir ein Kissen suchte in das ich reinbrüllen konnte. Brüllen bis der ganze Frust raus ist. Und dann, wenn alle Wut und Enttäuschung, raus waren, eine Weile an die Decke starren. So lange bis ich mich wieder aufraffen und weitermachen konnte.

Aber diese Vorgehensweise ist alles andere als förderlich, denn seht ihr, durch das „ins Kissen brüllen“ werde ich nicht nur die Wut, Enttäuschung und Anspannung los, sondern verbrauche auch alle meine Energie bis ich nur noch kraftlos an die Decke starren und mich meiner Müdigkeit hingeben kann. So habe ich das immer schon getan. Als Kind, als Teenager und dann auch als Erwachsene. So habe ich gelernt damit umzugehen. Damit die Wut (meistens ja auf mich selbst) mich nicht auffrisst, muss sie raus und das Endresultat ist dann komplette körperliche und geistige Erschöpfung.

„You got an attitude problem!“

Ich bin viel gereist, habe in unzähligen WGs gelebt und bin mit duzenden von Kulturen, Lebensweisen und Lebenseinstellungen in Berührung gekommen. Und am häufigsten mit der australischen Art und Weise Dinge anzugehen. Ich liebe die Australier für ihre Einstellung ihren Job zwar ernst, aber nicht ernster als es sein muss, zu nehmen. Und als ich in Edinburgh mal wieder einen solchen Frustmoment erlebt habe, war es meine australische Mitbewohnerin die mir die Augen geöffnet hat.

In der Küche sitzend und kraftlos (mit Tränen in den Augen) an die Decke starrend, kam mir ein Handtuch ins Gesicht geflogen und ich hörte meine Mitbewohnerin Clair sagen :“You got an attitude problem, girl!“

„Wie bitte? Warte.. was? CC, du weißt ja gar nicht was ich heute durchgemacht habe. Bitte, ich brauche jetzt nicht noch eine Standpauke!“
„You are right. I don’t know what you have been through, but I know it is eating you up and you let it! You got an attitude problem and I will fix it for you. So put that towel on, take your shoes off and stand on the couch!“
Ich war perplex und müde und habe versucht sie abzuwimmeln, aber sie ließ mich nicht in Ruhe. Sie zwang mich mir das Handtuch um den Kopf zu wickeln (als hätte ich frisch gewaschene Haare) und barfuß auf der Couch zu stehen. Dann stöpselte sie ihren iPod in die Boxen, drehte die Lautstärke hoch und drückte ‚Play‘.

Die Musik dröhnte und eine 1m50 kleine Australierin schrie mich an: „Tanz!“

„Wie bitte?! Das ist lächerlich!“

„Yes it is!“

„Clair, ich will nicht. Das ist lächerlich!“

Clair lächelte nur, öffnete die Küchentür, rief unsere 3Jungs zusammen (2 Aussis, 1 Brite) und als die neugierig kamen und mich, samt Handtuch, auf der Couch stehen sahen, sagte sie nur: „She needs to dance it off!“
Ich war mir sicher die drei würden ihr, genauso wie ich schon zuvor, sagen das das total schwachsinnig ist, denn sie drehten sich um und gingen wieder raus.

Aber 10 Sekunden später kamen sie wieder rein. Mit Handtüchern auf den Köpfen. Dave und Sam sprangen neben mich auf die Couch, Stu und Clair tanzten auf dem Boden. Die Musik dröhnte und sie tanzten und sangen… und so tanzte und sang ich mit.

Ein paar Lieder später waren wir alle außer Atem, mit hochroten Köpfen und fast heiser, aber laut lachend.
„Ihr seid echt verrückt! Ihr glaubt ja gar nicht was für einen shitty Tag ich hatte, ich…“
Ich wurde unterbrochen.
„You didn’t have a shitty day, mate. You had a shitty week. A shitty couple of weeks.“ sagte Dave.
„And we know you gotta finish that thing. So go now. Finish what you gotta finish and then you’ll tell us all about it!“

3 Tage später saßen wir 5 wieder bei einer Tasse Tee in der Küche zusammen (wie man das in UK eben so macht) und ich erzählte meinen Freunden, dass ich meinen Job kündigen und für einen Master an die Uni zurückkehren würde.

Seht ihr, die Sache ist nämlich die: Wenn etwas mächtig schief läuft, dann muss man mit jemandem darüber reden um Klarheit zu gewinnen. Aber wenn man noch in der Situation drin steckt und vorerst nicht raus kann, dann kann“darüber reden“ auch bewirken, das man erstmal komplett auseinander fällt, bevor man sich sammelt und was ändern kann.

Wenn man in einer schief laufenden Sache noch immer drin steckt, die Kontrolle verloren hat und schon irgendwie gefallen ist, aber dennoch erstmal weitermachen muss… dann ist das Einzige was du machen kannst, die Kontrolle über deine eigene Einstellung zurück zu gewinnen. Du kannst dich kraft- und lustlos von der Couch heben und das letzte Stück bis zur Ziellinie kriechen. Oder du kannst dir sagen, dass nichts schief genug sein kann, das du da nicht drüber lachen könntest.
Und wenn dir nicht nach Lachen zumute ist, dann trickst du deinen Körper in gute Laune und machst etwas total Lächerliches. Etwas so abstruses, dass du dich und deine miese Situation nur noch belächeln kannst, denn:

„Attitude happens in your head, mate!“

„Couch-towel-dancing“ wurde zur Tradition in unserer WG. Egal wer, egal wann, wenn man es nötig hatte, konnte man sich drauf verlassen das die anderen 4 auf ihren Zimmern kommen und mittanzen würden.


 

Letztens lag ich in unserer Küche auf dem Fussboden, zwischen zwei zerbrochenen Gläsern und jeder Menge Saft. Ich war auf ein Spielzeugauto getreten und ausgerutscht. Im wahrsten Sinne des Wortes gefallen und während Steißbein, Ellebogen und Kopf schmerzten, lag ich da und starrte kraftlos, aber fluchend, die Decke an. Laut fluchend.

Erst als ich meine Kleinen herantrippeln hörte, reagierte ich. Aus Angst sie kämen neugierig aber nichtsahnend in die scherbenüberflutete Küche gerannt (sie sind ja erst 1 und 2Jahre alt), schrie ich alarmiert „RAUS! Nicht in die Küche kommen. Ihr könnt euch weh tun! RAUS!“
Wie man auf englisch so schön sagt: I scared the living shit out of them!

Und während ich versuchte mich aufzurichten, ohne mich an den Scherben zu schneiden, stand mein Großer blass und still im Türrahmen. Ich brummte etwas von wegen „Alles gut! Mir gehts gut, aber bleib draussen!“ und das einzige was mir entgegnet wurde war die zögerliche Frage: „Mama? Nicht alles gut? Mama? Tanzen aufa Couch?“

Es ist schön zu wissen das mein Kleiner mit bereits 2Jahren besser mit schwierigen Situationen umzugehen weiß als ich noch mit 25. #Ichmachedawasrichtig!

Und wenn ihr euch mal den Frust von der Seele tanzen müsst, dreht die Lautsprecher auf (Achtung, wilder, unzensierter Mix):

Hier meine Top-Songs „to work it“ and „get your freak on“ 😉 

1) Jungle Drum – Emiliana Torrini

2) Sandi Thom – I wish I was a punkrocker

3) Hollaback Girl – Gwen Stefani

4) The Worst Hangover Ever – The Offspring

5) Burning LOve – Wynonna Judd (Jepp, aus Lilo&Stitch)

6) Alles Neu – Peter Fox

7) Throw It On Me  – Timbaland feat. The Hives

8) One And Only – Fallout Boy feat Timbaland

9) Boom – POD
https://www.youtube.com/watch?v=TZjpnXcGZ9w

10) Türlich Türlich – Das Bo

11) Nordisch by Nature – Fettes Brot

12)  Work It UND Get Your Freak on – (von der Queen of beautiful bizarre) Missy Elliott

13) Music Is The Victim – Scissor Sisters

14) Beetlejuice (Main Title) – Danny Elfman

15) Like A Virgin – creepy crazy aus dem Film Moulin Rouge

 

Und Ihr? Habt ihr auch so eine Playlist?

 

 

 

 

7 Comments
  • 29. Juli 2015

    Liebe Nic, vielen DANK für diesen großartigen Artikel. Ich finde es schön, wie Du diese Situationen beschreibst. Ich habe eine ganze Liste voll verrückter Ideen für diese Situationen (auch schon in einem Artikel veröffentlicht).Ich dachte bisher immer, dass das wohl nur mein Ding ist. Du hast das wunderbar beschrieben und ich werde beim nächsten mal mit weniger schlechtem Gewissen singen, weil ich nichts verdränge sondern mir etwas gutes tue.
    DANKE für deine Offenheit und viele orangene Grüße
    Kristiane

    • 29. Juli 2015

      Das freut mich liebe Kristiane.
      Dann tanzen, singen, springen und grölen wir das nächste Mal zusammen. I will be your „gröl-mate“ 😉

  • 30. Juli 2015

    Hihi, ich musste herzhaft lachen, als ich mir vorgestellt habe, wie Du und die anderen mit Handtüchern auf dem Kopf abdancen 🙂 Ich kenne dieses Problem der totalen Erschöpfung nur zu gut. Als Eltern machen wir ja wahrlich einen ganz schönen Spagat und das Schlimme ist, wenn wir am Ende sind, müssen wir trotzdem für unsere Kinder da sein, rund um die Uhr. Ich versuche es dann immer mit der Wahrheit, erkläre meinen Kindern, dass ich kaputt bin und mal eine Pause brauche und lege mich dann einfach auf die Couch. Meinen Jüngsten interessiert das aber mit einem Jahr herzlich wenig – der muss dann halt trotzdem auf der Mama rumklettern 😉 Im schlimmsten Fall schicke ich meinen Mann mit den Kindern zu Oma und Opa. Ich bin wirklich total froh, dass ich diese Möglichkeit habe! Aber als Erste-Hilfe-Maßnahme ist das Tanzen mit Handtuch auf dem Kopf natürlich total super! Das kann ich ja auch mit den Kindern machen…

    • 30. Juli 2015

      Genau so mache ich es auch mit meinen Kids. Wir tanzen zusammen und es mich gefreut zu hören das mein Kleiner schon genau wusste was Mama in der Notfallsituation braucht.
      Es ist schön wenn man noch mehr Familie in der Umgebung hat und davon Gebrauch machen kann. Nutze es! Bei uns ist das leider nicht der Fall. Da bleibt nur: Tanzen bis das Wochenende kommt 😉

  • 10. August 2015

    Liebe Nic,
    ich habe sehr gelacht und ich glaube, dass du es auf den Punkt getroffen hast. Nur das mit dem Handtuch habe ich noch nicht verstanden – vermutlich geht es auch ohne, oder? 🙂
    Für die Playlist: Run DMC feat. Aerosmith: Walk This Way

    • 10. August 2015

      Hallo Stephanie,
      Ja es geht auch ohne Handtuch und ohne Couch, aber manchmal muss man eben extra albern sein.
      Ich freue mich das es euch allen gefällt ?

  • 10. August 2015

    PS: Tolle Auswahl übrigens – Das Bo lieben wir! Das wird hier immer zitiert!

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